Können zwei Ausbildungsabschnitte als eine einheitliche Erstausbildung gewertet werden, wird das Kindergeld für den gesamten Zeitraum gewährt. Es liegt allerdings keine einheitliche Ausbildung vor, wenn das Kind nach der ersten Ausbildung eine Erwerbstätigkeit aufnimmt und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der Weiterbildung oder dem Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig dienen. Der „zweite Ausbildungsabschnitt“ ist dann als Nebensache zur Erwerbstätigkeit (= Fortbildung) anzusehen. Setzt die Aufnahme eines Studiums eine parallel ausgeübte Berufstätigkeit voraus, kann nicht ohne weiteres daraus abgeleitet werden, dass das Studium eine Zweitausbildung darstellt.
Praxis-Beispiel:
Der Vater erhielt ab Februar 2018 kein Kindergeld mehr, weil seine 1997 geborene Tochter im Januar 2018 ihr Ausbildungsverhältnis zur Industriekauffrau erfolgreich abgeschlossen hat. Ab dem 31.1.2018 wurde sie in ein Angestelltenverhältnis bei ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen. Der Vater legte Einspruch ein, weil seine Tochter bereits seit dem 1.3.2017 in Teilzeit den Studiengang "Business Administration" durchführe. Bei der Ausbildung zur Industriekauffrau und dem nachfolgenden Studium handele es sich um eine einheitliche Erstausbildung. Das angestrebte Berufsziel erreiche seine Tochter erst mit dem erfolgreichen Abschluss des Studiums. Der Vater legte eine Bescheinigung vor, wonach es sich um ein berufsbegleitendes Studium handele, dessen Vorlesungen in den Abendstunden und an den Wochenenden stattfänden und das voraussichtlich am 31.08.2020 beendet sei.
Es kann an einer einheitlichen Erstausbildung fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses eine Berufstätigkeit aufnimmt und die in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten (= Nebensache zur Erwerbstätigkeit). Dabei ist auf Folgendes zu achten:
- Wenn das Kind annähernd in Vollzeit arbeitet und die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt werden, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur "neben der Berufstätigkeit" durchgeführt werden.
- Von Bedeutung ist auch, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind.
- Das parallel zur Berufstätigkeit betriebene Bachelorstudium muss nicht Teil einer einheitlichen Erstausbildung sein; es kann sich auch um eine berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahme handeln.
Da das Finanzgericht nicht darauf eingegangen ist, muss es aufgrund der vom BFH genannten Rechtsgrundsätze der Frage nachgehen, ob das Bachelorstudium dem Beschäftigungsverhältnis untergeordnet war, oder umgekehrt das Beschäftigungsverhältnis dem Studium.