Nutzt der Arbeitnehmer ein Kfz seines Arbeitgebers und verstößt er gegen ein Parkverbot, erhält der Arbeitgeber als Halter dieses Kfz ein Verwarnungsgeld. Der Arbeitgeber kann das Verwarnungsgeld als seine eigene Schuld begleichen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Diese Zahlung ist nicht ohne Weiteres als Arbeitslohn des Arbeitnehmers zu beurteilen, der die Ordnungswidrigkeit tatsächlich begangen hat.
Praxis-Beispiel:
Die Fahrer eines Paketzustelldienstes haben die Aufgabe, Pakete unmittelbar bei den Kunden abzuholen oder den Kunden Pakete zuzustellen. Um eine möglichst schnelle Zustellung zu gewährleisten, halten die Fahrer mit ihren Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe zu den Kunden. Insbesondere in Innenstädten ist dies jedoch nicht immer in straßenverkehrsrechtlich zulässiger Weise möglich. Die Verwarnungsgelder werden häufig direkt gegenüber dem Paketzustelldienst als Halter der Fahrzeuge "festgesetzt" und erhoben. Der Paketzustelldienst entrichtete die Verwarnungsgelder innerhalb der gesetzten Wochenfrist, um zu vermeiden, dass die Personalien des Fahrers ermittelt und mitgeteilt werden mussten.
Der Paketzustelldienst entrichtete aber nur die Verwarnungsgelder wegen Parkverstöße seiner Fahrer. Verwarnungs- oder Bußgelder für andere Verstöße der Fahrer gegen die StVO (wie etwa überhöhte Geschwindigkeit) trägt er nicht. Das Finanzamt sah in der Zahlung der Verwarnungsgelder, die auf Parkverstöße der Fahrer beruhen, lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn. Der Paketzustelldienst ermittelte die Lohnsteuer pauschal und zahlte sie an das Finanzamt.
Der BFH hat entschieden, dass das Verwarnungsgeld, das der Arbeitgeber als eigene Schuld beglichen hat, nicht zwingend als Arbeitslohn des Arbeitnehmers zu beurteilen ist. Die pauschale Lohnsteuer entsteht nur, wenn der Arbeitnehmer den Lohntatbestand verwirklicht. Die Übernahme der pauschalen Lohnsteuer durch den Arbeitgeber setzt voraus, dass beim Arbeitnehmer ein geldwerter Vorteil vorliegt.
Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören neben Gehältern und Löhnen auch andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung gewährt werden. Das gilt unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch darauf besteht und ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt. Bezüge oder Vorteile werden dann für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist zu bejahen, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt wird, weil der Empfänger Arbeitnehmer ist und die Einnahmen mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen. Sie stellen dann einen Ertrag aus nichtselbständiger Arbeit dar, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist.
So kann auch der Erlass einer Forderung, die dem Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer zusteht, Arbeitslohn sein. Der Arbeitslohn fließt in einem solchen Fall in dem Zeitpunkt zu, in dem der Arbeitgeber zu erkennen gibt, dass er keinen Rückgriff nehmen wird, und sich der Arbeitnehmer hiermit einverstanden erklärt. Der Paketzustelldienst machte selbst geltend, dass seine Fahrer angewiesen waren, sich an die geltenden Verkehrsregeln zu halten. Das widerspricht der Annahme, dass die Übernahme der Verwarnungsgelder ausschließlich im eigenbetrieblichen Interesse erfolgt sei.
Fazit: Das Finanzgericht wird im zweiten Rechtsgang erneut zu prüfen haben, ob und wenn ja in welcher Höhe dem Paketdienst wegen der von seinen Fahrern unstreitig begangenen Parkverstöße ein (vertraglicher oder gesetzlicher) Regressanspruch gegen den jeweiligen Verursacher zusteht. Falls ein Regressanspruch vorliegt, der nicht geltend gemacht wurde, kann steuerpflichtiger Arbeitslohn vorliegen.